Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 218

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Achselzucken zu entledigen. In dieser Lage war aber gerade die belgische Bourgeoisie in der jüngsten Kampagne, da sie dank der Allianz die Bewegungen der Arbeiterkolonnen bestimmen und nötigenfalls den Generalstreik abkommandieren konnte. So geschah denn auch, und sobald der Streik anfing, der Bourgeoisie im Ernste beschwerlich zu werden, erging das Kommando: Die Arbeit wird wiederaufgenommen! und mit allem „Drucke“ des Generalstreiks war es aus.

So erscheint die schließliche Niederlage als eine unausbleibliche Folge der eigenen Taktik unserer belgischen Genossen. Ihre parlamentarische Aktion blieb wirkungslos, weil hinter ihr der Druck des Generalstreiks ausblieb. Und der Generalstreik blieb wirkungslos, weil hinter ihm die freie Entfaltung der Volksbewegung, das Gespenst der Revolution nicht drohte.

Mit einem Worte: Die außerparlamentarische Aktion wurde der parlamentarischen aufgeopfert, aber dadurch gerade wurden beide zur Unfruchtbarkeit und der ganze Kampf zum Fiasko verurteilt.

III

Die soeben abgeschlossene Episode des Kampfes um das allgemeine Wahlrecht ist ein Wendepunkt in der belgischen Arbeiterbewegung. Zum ersten Male in Belgien trat hier die sozialistische Partei, durch einen formellen Kompromiß an die liberale Partei gebunden, in den Kampf, und sie erwies sich, ganz wie die ministerialistische Fraktion des französischen Sozialismus durch ihre Allianz mit dem Radikalismus, in der Lage des gefesselten Prometheus. Wir stehen nicht an zu sagen: Die Zukunft des allgemeinen Wahlrechts in Belgien wie der Arbeiterbewegung überhaupt hängt davon ab, ob sich unsere Genossen von den erstickenden Umarmungen des Liberalismus zu befreien verstehen. Aber auch für das internationale Proletariat ist das jüngste Experiment der belgischen Sozialisten ernster Lehren voll. Ist es doch wieder nichts anderes als eine Wirkung desselben lauen, entnervenden Samums des Opportunismus, der seit einigen Jahren über die Lande weht, was sich in der verhängnisvollen Allianz unserer belgischen Freunde mit der liberalen Bourgeoisie äußert.

Gerade die soeben in Belgien erlebte Enttäuschung sollte allerorts als eine Warnung dienen vor einer Politik, die in einem Lande nach dem anderen zu schweren Niederlagen und schließlich zur Lockerung jener Disziplin und jenes unbegrenzten Vertrauens der Arbeitermassen zu uns Sozialisten

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